Essay: Wie finde ich einen Verlag über die Medien?

EssayEs ist wahrscheinlich, dass jener Herr Mann, der 1929 den Nobelpreis für Literatur erhielt, heute ein Unbekannter bleiben würde, obwohl seine soghafte Literatur mindestens von älteren Lektoren anerkannt werden würde: mit dem Bescheid, dass es ihnen leidtue, das Manuskript nicht veröffentlichen zu können.

Das Radio gab es schon, das Fernsehen nahm seinen Probebetrieb 1936 kalkuliert in Deutschland auf, oben am Kaiserdamm in Berlin, in einer ruhigen Seitenstraße.

Robert Lemke, wohlweislich der Mann, der sich seit 1958 nach Berufen erkundigen ließ, fragte sich, wie Fernsehen vor ihm existierten konnte, obwohl es keine Programme gegeben haben soll.

Was übersehen wird: Lembke als Journalist unter anderem beim satirischen Simplicissimus wider die Obrigkeit, wusste, welche Programme es vor seiner Fernsehzeit gab.

Lemke irrte. Im Jahr 1936 gab es ein unheilvolles Programm mit einem Instrument, das die Massen bewegte.

Nun wird es schwer, den Übergang zu finden.

Das Unfassbare, das Grausame, das Mörderische lässt sich nicht als Brücke zu einer Idee nutzen. Das muss innerlich verboten sein über alle die Generationen hinweg, die uns folgen werden. Wir kommen etwas später zu dieser Idee. Bitte haben Sie Geduld.

Ich möchte das Fernsehen und den Hörfunk an die Aufgabe erinnern, die im glücklich machenden Sinne eine Aufgabe erfüllen kann, losgelöst von der jeweiligen Zeit, obwohl das schier unmöglich zu sein scheint. Aber es geht.  Es kommt auf den großen Bogen an.

Es gibt einen wunderschönen Roman des Milan Kundera, der einem ebenso schönen Film die Basis gegeben hat: „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“.  Jener Tomasz, ein Chefarzt, wird in der Zeit des Prager Fenstersturzes nach seiner Entscheidung, die Flucht zu ergreifen, an Beethoven und den „Schwer gefassten Entschluss“ erinnert.

Tomasz, attraktiv, findet seinen Anker, berichtet seinem Chefarzt, der an Beethoven erinnert, an „Ludwig van“ (Stanley Kubrick), geboren in Bonn, beerdigt auf dem Wiener Zentralfriedhof, denn der Chefarzt fragt zunächst „Muss es sein?“. Und eben der Obere antwortet inspiriert: „Es muss sein! Es muss sein!“ Dann reisen Tomasz und Teresa ab, um heimzukehren …

Ich verkette politisch Unvergleichbares. Doch gute Literatur ist der Mantel, der uns zu jeder Zeit gewärmt hat.

Im Fernsehen heute werden Bücher verrissen und gelobt. Ein wurstiger Kritiker wie Dennis Scheck wirft Bücher in eine Tonne. Andere streiten in Talkshows über Werke. Alle diese sind veröffentlicht. Und das Fernsehvolk ist entsetzt, belustigt, verwirrt.

Vor allem die freien Lektoren stoßen an ihre Grenzen. Sie verlieben sich in Werke, unterscheiden zwischen Schwarzbrot und Sahnetorte. Sie sehen: Bei der Suche nach Verlagen sitzen alle in einem Boot, die guten und die schlechten Autoren. Das ist die Realität in den Lesestuben.

Entsetzlich ist es, wenn nachgelesen werden kann, dass Menschen Google fragen, wie schreibe man ein Buch an einem Wochenende.

Mit Verlaub: Erst einmal handelt sich nicht um ein Buch. Es ist ein Manuskript.

Zweitens beleidigt das alle diejenigen, die mit sich gehadert, nachgedacht, geschrieben, an sich gezweifelt haben – und dennoch nicht veröffentlicht wurden. Wir in Berlin sagen: „Es gibt solche und solche.“

Zur Idee. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob sie vom Fernsehen oder vom Radio aufgegriffen wird.

Hauptsache: Sie wird in den Medien akzeptiert. Wie also wäre es, wenn deutsche Lektoren angesichts der Zwänge, denen Verlage unterliegen, auf unveröffentlichte Diamanten der Literatur in elektronischen Medien hinwiesen? Auf unveröffentlichte Manuskripte!

Alle diese Lektoren sind Experten. Sie streiten gern für den Sinn ihrer Arbeit, glücklich zu sein mit und für die Literatur.

Welchen weiteren Sinn hätte das? Die wirklich guten Autoren hätten es leichter. Lektoren profilierten sich mit dezidierten Meinungen. Die Öffentlichkeit hätte Orientierung. Und die Verlage?

Sie hätten eine Nachfrage, damit ökonomisch vernünftig endlich auch besondere Werke veröffentlichen werden könnten, die nicht mehr gefragt sind, von denen sie heute glauben müssen, dass trotz aller Qualität nie und nimmer allein die Druckkosten gedeckt würden – trotz der Ehre, die den Verlagen zuteilwerden müsste.

Einige Verlage, das zur Ehrerrettung, haben eine Mischkalkulation im Auge. Sie veröffentlichen dumme Ratgeber und nichtssagende Biografien Prominenter, um auf diesem Meer des Unsinnigen auf die eine strahlende Insel im Nichts zu verweisen: ein gutes Buch, das man niemals mehr vergisst wie die „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel Garcia Marquez, die Buddenbrooks von Thomas Mann, das „Parfüm“ von Patrick Süskind oder „Wie eine Träne im Ozean“ von Manes Sperber.

Fernseh- und Radiosender hatten immer ein Programm. Das zeigt sich nicht klein dadurch, was da gerade gesendet wurde und warum – im blödsinnigen Treiben junger Menschen zum dauerhaft unerreichbaren Ruhm, obwohl man bedenken muss, dass Warhol angekündigt hat, dass in Zukunft jeder Mensch 15 Minuten lang berühmt sein würde. Es ist so bei den jungen Menschen gekommen, die nachsingen, gleichförmige Tonlage einüben, trotz allem den eigenen, noch wachsenden Charakter herausarbeiten müssen und nach 15 Minuten verlieren. Alles ist mir einerlei.

Unsere Literatur ist die des Soges, die der Axt, die das gefrorene Meer in uns bricht, die, die sich gegen Moden wendet wie die Freude bei Beethovens „Ode an die Freude“, dessen Text von Friedrich Schiller stammt: „Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt.“

Wir überwinden Feuchtgebiete, erinnern uns an die ernsthafte Literatur, die zu einer Zeit entstand, in der reich im Geiste und arm in der Zeit Besonderes entstand.

Deshalb sind Sendungen über unveröffentlichte Manuskripte Akte, die den Geist streicheln. Lektoren sollten im Radio in ihren Beiträgen für ihre Autoren werben können. Auch für das Unbekannte sind die Medien da. Nicht nur für den Populismus, den es seit Jahrtausenden gibt. Nun ist diese Art von Populismus bleibend ehrenwert, wenn dadurch das übersehene Buch das Licht der Welt erblickt und das Licht der Sonne im Gesicht trägt.

Helft den Autoren, helft den Lektoren. Preist unveröffentlichte Manuskripte, die den Einsatz wert sind.

Dirk Henze